Erika Pluhar T E X T E Rede zum HOLOCAUST-Gedenktag am 20. Juni 2021 im Minoritensaal zu Wels Als dieser größte - und letztlich unfassbarste - menschliche Wahnwitz der letzten Jahrhunderte sich ereignet hat, war ich bereits auf der Welt. 1939 bin ich geboren - also mitten hinein in das allseits verschwiegene Ermorden von Abertausenden, das irgendwo stattfand und von dem ich nichts ahnen konnte - und mitten hinein in ein mir überaus nahes Kriegsgeschehen. Ich erlebte die Bombardierung Wiens traumatisch als erste Kind-Erfahrung. Jedoch meine Familie und ich überlebten. Als mein Vater aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt war, drang das bei den Erwachsenen vernommene Wort „Ent-nazifizierung“ in mein Bewusstsein - wohl auch, weil ich mitbekam, dass eine Befürchtung sich verflüchtigte und meine Eltern aufatmeten. Mehr verstand ich davon nicht. In der Nachkriegszeit ging ich, sofort davon begeistert, zur Schule, erfüllt von Wissensdurst und der freudigen Erleichterung, dass - trotz des Mangels an Nahrung und trotz der traurig zerstörten Stadt rundum - endlich wieder Frieden herrschte. Schreiben und Lesen zu erlernen wurde für mich ein Geschenk des Himmels. Als lernfreudige Schülerin ging ich nach der Volksschule ins Gymnasium in Wien/Floridsdorf. Und dort sandte mir das Geschick eine Geschichts- Professorin auf den Weg, wie wohl in meiner Generation, und viele Jahre danach, Schülern kaum irgendwo eine Lehrperson zu Teil wurde. Frau Prof. Eleonore Zimmermann - ich ehre ihren Namen - tat, was sie eigentlich hätte unterlassen sollen. Sie klärte uns auf. Unterrichtete gnadenlos. Berichtete vom Grauen der letzten Jahrzehnte, von Antisemitismus, Nationalsozialismus, Hitler, Konzentrationslagern, Worte wie Shoa, Holocaust, Auschwitz fielen. Sie führte uns sogar im Zeichensaal Schmalfilme vor, die bei der Befreiung Überlebender aus den KZ’s entstanden waren. Mitschülerinnen erbrachen. Nazi-Eltern tobten. Aber wiederum war es dieses mir wohlgesonnene Geschick, welches Frau Dr. Stella Klein-Löw Direktorin unseres Gymnasiums sein ließ. Selbst Jüdin, hatte sie mit ihrem Mann in England überlebt, und war danach in Österreich sozialdemokratische Abgeordnete im Parlament geworden. Sie gab den elterlichen Beschwerden nicht den geringsten Raum und ließ weiterhin zu, dass Frau Prof. Zimmermann ihre Schüler ungehindert mit den jüngsten und schrecklichsten Auswüchsen der Menschen-Geschichte konfrontierte. Ich betone es immer wieder - und mit großer Dankbarkeit - und auch heute hier: diese beiden Frauen haben mich in jungen Jahren zu der Antifaschistin gemacht, die ich mein Leben lang geblieben bin. Zu Hause jedoch machte ich, von diesem grauenvollen Rückblick erschüttert, meinen Eltern die Hölle heiß. Sie waren keine Verbrecher gewesen, aber eben auch Nazis. Mein Vater in den Anfängen sogar ein ziemlich überzeugter, während meine Mutter trotz inneren Widerstandes nichts abwehrte und Mitläuferin blieb. Jetzt überfiel ich sie beide mit meiner Empörung, meinem Unverständnis, meiner Verachtung, ich schrie ihnen dieses „Wie konntet ihr das nur zulassen?“ immer wieder entgegen. „Ihr müsst doch gewusst haben, wohin alle die jüdischen Menschen gebracht worden sind? und was mit ihnen geschehen ist? Dass man die vergast hat? Dass es diese Lager gegeben hat? warum habt ihr euch nicht dagegen aufgelehnt? Wie konntet ihr diesem grauslichen Hitler, diesem hässlichen Menschen, nur irgendetwas glauben?“ Und so weiter. Ich regte mich fürchterlich auf. Antwort erhielt ich keine, meine Eltern ließen die wilden Anwürfe ihrer Tochter schweigend und bedrückt über sich ergehen. Im Nachhinein danke ich auch das den beiden Frauen am Gymnasium: dass ich mich so früh und so heftig gegen meine Eltern auflehnen und ihnen deshalb später auch wieder gut sein konnte. Etwas jedoch blieb auch von dieser Konfrontation in mir haften. Wo doch meine an sich freundlichen und liebenswürdigen Eltern so in die Irre geführt werden konnten - nachdem ich das erfahren hatte, erhielt sich in mir ein nicht mehr auszulöschendes Wissen. Das Wissen um menschliche Verführbarkeit. Um die Macht der dem Menschen einzupflanzenden Vor-Urteile. Um die Gefährdung durch Opportunismus. Und vor allem um das Manipuliertwerden durch Angst. Wenn man ihnen Angst macht, erreicht man vom Großteil der Menschen fast alles. In einem meiner Lieder heißt es ja: „Schau dir all die verbrauchten Gesichter an Die sich selbst verloren haben vor der Zeit Und wie man sie gebrochen hat mit System Nur weil die Angst so sehr gefügig macht.“ Faschismus beruht auf Angst-mache. Zwar war ich dann später sehr früh, in jungen Jahren schon - und gegen reichlich Widerstand - damit befasst, die österreichische Verantwortung während des Nazi-Regimes und im Hinblick auf den Holocaust bei jeder Gelegenheit zu betonen. Etwas, das ja jahrelang - bis zu Vranitzkys Rede in Jerusalem - hierzulande weidlich unter den Tisch gekehrt wurde. Ich las, ich sang und sprach bei Gedenk-Veranstaltungen - in Mauthausen etwa - aber auch am Theater - ja - und ich erhielt eine Zeitlang an der Burg mit Menschenkot gefüllte Briefe an mich, des Inhalts: „Wie ich denn als Burgschauspielerin diesen Sau-Juden Heller heiraten konnte“. In dieser Weise von Hass ereilt zu werden erlebte ich auch Jahre später - und es kam aus einer ähnlichen Ecke, kam wohl aus der selben menschliche Hölle auf mich zu. Es gibt diesen Prozentsatz an Un-Menschen, der unausrottbar die Erde zu bevölkern scheint. Da schrieb man mir zahlreich anonyme Briefe - Shit-storms gab es damals noch nicht - des Inhalts: „Mir sei recht geschehen, dass meine Tochter gestorben sei - weil ich öffentlich gegen den ‚Jörgl‘ – also gegen Haider – sei!“ Was ich damals auch war! Und was mit meiner Lebens-Einstellung eng zu tun hatte, und bis heute zu tun hat. Ich wurde - vielleicht gerade auch wegen der Nazi-Vergangenheit meiner mir doch so lieben und letztlich so gütigen Eltern - eine glühende Befürworterin der „Gegenwartsbewältigung“. Ich sah und sehe dieses „Wehret den Anfängen“ sehr oft schon dort, wohin man mir nur ungern, und wenn, dann meist verwundert folgt, mit „na ja – so arg ist das doch nicht…“ - oder „bitte übertreib’ doch nicht so“… In meiner Zeit am Burgtheater: wenn da Kollegen so überaus selbstsicher genau wussten, was Paula Wessely damals nicht hätte tun dürfen - da kam ich sehr schnell mit sehr genauen Fragen zu ihrer eigenen Gegenwart auf sie zu. Wie und wo sie bereits opportunistisch, feige, karrieresüchtig, oder ängstlich aufs eigene Fortkommen bedacht, Un-Gutes bedient hätten. Noch nicht so gefährlich und gefährdend alles - jedoch am besten Wege, keine entschiedene Haltung gegen Ansätze von faschistiodem Gedankengut, gegen im Spießertum versteckten Rechtsradikalismus aufzubringen, sondern brav im Trüben mitzuschwimmen. Wenn Menschen meines Umfeldes „langsam von diesem Holocaust nicht mehr hören können“ - - „nix gegen Juden haben, aber jetzt reicht‘s“ - - - ja, das wird auch immer wieder von - wie man meint - intellektuell gut ausgerüsteten Leuten und nicht nur von Schwachköpfen ganz rasch und oft gesagt - - - Wenn also solches ertönt, darf man nicht schweigen. Aber auch, wenn mein afrikanischer Adoptiv-Sohn als junger Bub vor der Disco seiner Hautfarbe wegen des Drogenhandels bezichtigt und nicht mit seinen ‚weißen‘ Freunden hereingelassen wurde - wenn in der türkisfarbenen Jetzt-Zeit das Thema Flüchtlinge und Asyl immer noch so gehandhabt wird, dass man vergeblich nach Menschenwürde und Menschlichkeit Ausschau hält - dann darf man auch dabei nicht schweigen! Meine Schwiegertochter ist Jüdin. Das Enkelkind ist also jüdisch. Ich sehe von meinem Fenster aus die beiden im Garten spielen, einander kosen. Es ist nicht vorstellbar, dass irgendwann so schöne, so bezaubernde, so kluge, so lebendige Menschen von anderen Menschen, die neben ihnen lebten, ausgegrenzt und dem Verderben ausgeliefert wurden. Dass da kein Aufschrei ertönte! Es ist mir in einer Weise unvorstellbar, dass ich dem Mensch-Sein nicht mehr trauen kann. Das heißt besser gesagt: ich traue dem Menschen alles zu. Was mir leider das vergangene Jahr wieder bestätigt hat – diese Zeit der Pandemie, die über uns kam. Wie rasch kann in Köpfen, in Seelen von Menschen ein unheilvolles Spektrum von Torheit bis hin zum Bestialischen entstehen! Wohin kann Angst, Unsicherheit, ungewohnte Anforderung auch relativ gebildete Menschen im Nu bringen! Selbst bleibe ich ja dem Face-Book, der Posterei und Twitterei mit Überzeugung fern, ich gehe immer noch ohne Smartphone durchs Leben - erfahre jedoch zur Genüge alles an Greuel, an unfassbar Bösem - das ich nur nicht unaufhörlich meinem Menschen-Dasein so dicht nahebringen möchte. Weil es mich entsetzt. Mir Boden unter den Füßen entzieht. Diese Wahrnehmung, mit welcher Eile Vernunft und Mitmenschlichkeit ausgeschaltet werden kann. Die anfängliche Hoffnung, diese weltweite Corona-Katastrophe könnte zu einer Belehrung der Spezies Mensch führen - ihr vor Augen bringen, wohin der rein kapitalistische, umwelt-feindliche Weg sie führt - was es auf Dauer bedeutet, die Erde und einen Großteil ihrer Bewohner für das exzessives Wohlergehen unserer westlichen Elitegesellschaft auszubeuten! - Ja, anfangs dachte ich an eine erneuerte, ich möchte fast sagen: vergeistigte Globalisierung, an eine dem Menschen angebotene Möglichkeit, sich welt-weit neu zu orientieren und zu einigen… Und was entstand in Windeseile? Hass! Unvernunft! Verschwörungstheorien wucherten hoch. Woran Leute glauben können, bringt mich auch bei religiösen Fanatismen, bei jeder Form von Fundamentalismus immer wieder aus der Fassung. Nun wird solches aber in unseren Tagen zusätzlich von der uns beherrschenden digitalen Macht gefördert, die jeglichen Schwachsinn weltweit auszubreiten in der Lage ist. Und wer natürlich sofort auf diese Tendenzen aufsprang, war der Rechtsradikalismus. Und in seiner Folge der Antisemitismus. Sofort waren sie zur Stelle, die ewigen Nazis, die Holocaust-Leugner. Eine jüdische Weltverschwörung gehörte ganz rasch in das Repertoire der Schauergeschichten, die dazu dienen sollen, angst-besetzten Menschen die einfache Tatsache einer Pandemie auszureden. Nun hat sich danach auch noch der Konflikt Israel/Gaza hinzugesellt, wir wurden und werden vom Geschehen dort medial gefüttert - und es ist so weit gekommen, dass man jüdischen Menschen raten muss, lieber nicht als Juden erkenntlich auf die Straße und zwischen Menschen zu gehen!!!!! An dieser Stelle habe ich mein Manuskript mit einigen Rufzeichen versehen. Und ich würde diese Gedenk-Veranstaltung heute hier gern zu einem einzigen großen Rufzeichen umwandeln. Zu einem Ruf, der ein Zeichen setzt. Nicht Gewalt - nicht Demos mit Gebrüll und Ausschreitungen - nicht blanker Hass, der stets Gleichgesinnte sucht und findet. Nein - ich bleibe dabei, dass jeder vernunftbegabte und anständige Mensch nicht aufhören sollte, sich selbst als Ruf, als Zeichen einzubringen. Furchtlos. Ja - gerade, weil die Angst so sehr gefügig macht - und wir, heute hier versammelt, uns doch nicht fügen wollen, wenn wieder Tendenzen erwachen, die Menschenwürde und Menschlichkeit gefährden. Ich appelliere stets an jeden einzelnen, wenn es um das Gedenken und um Mahnung geht. Ermahnen wir uns selbst - Tag für Tag - ein Leben lang. Erika Pluhar, Juni 2021
Ein Erika Pluhar zum 20. Todestag von Udo Proksch für die Tageszeitung KURIER abverlangter Kommentar, der - auch der Länge wegen – dann nicht zu passen schien. Hier soll er dennoch erscheinen. UDO Vor 21 Jahren starb unsere gemeinsame Tochter ANNA – und Udo – bislang ein Gefängnisinsasse mit erstaunlicher Haltung – ihr bald hinterher. Es brach ihm das Herz. Dieses angebliche ‚wilde Leben eines Herrn Udo‘ habe ich nie mit ihm geteilt. Unsere Ehe war kein Kinderspiel, aber ich kannte einen liebevollen und kreativen Mann an meiner Seite. Er war mehr Künstler als so manche, die das von sich behaupten. Und er half mehr Menschen aus Notsituationen oder auf die Sprünge, als er je kundtat. Ich sagte oft zu ihm: „Warum redest du sofort Blödsinn, wenn eine Kamera auf dir ruht?“ Sein spielerisch-clownesker Umgang mit den Medien und mit den Mächtigen – und zeitweise der Alkohol – das waren seine Gefährdungen. Unsere letzten Gespräche in der Haftanstalt Karlau waren die mit einem geläuterten, kritisch auf sich selbst zurückblickenden, halt einfach wirklich klugen Menschen. Was immer er sich zu Schulden kommen ließ - er hat weidlich dafür bezahlt. Schade, dass sein 20. Todestag ihn wieder zu einem medialen Hype werden lässt – ich hatte gehofft, dass wir, die wir ihn trotz allem liebten, davon jetzt endlich Ruhe hätten. Erika Pluhar, Juni 2021
Erika Pluhar T E X T E Rede zum HOLOCAUST-Gedenktag am 20. Juni 2021 im Minoritensaal zu Wels Als dieser größte - und letztlich unfassbarste - menschliche Wahnwitz der letzten Jahrhunderte sich ereignet hat, war ich bereits auf der Welt. 1939 bin ich geboren - also mitten hinein in das allseits verschwiegene Ermorden von Abertausenden, das irgendwo stattfand und von dem ich nichts ahnen konnte - und mitten hinein in ein mir überaus nahes Kriegsgeschehen. Ich erlebte die Bombardierung Wiens traumatisch als erste Kind-Erfahrung. Jedoch meine Familie und ich überlebten. Als mein Vater aus Krieg und Gefangenschaft heimgekehrt war, drang das bei den Erwachsenen vernommene Wort „Ent-nazifizierung“ in mein Bewusstsein - wohl auch, weil ich mitbekam, dass eine Befürchtung sich verflüchtigte und meine Eltern aufatmeten. Mehr verstand ich davon nicht. In der Nachkriegszeit ging ich, sofort davon begeistert, zur Schule, erfüllt von Wissensdurst und der freudigen Erleichterung, dass - trotz des Mangels an Nahrung und trotz der traurig zerstörten Stadt rundum - endlich wieder Frieden herrschte. Schreiben und Lesen zu erlernen wurde für mich ein Geschenk des Himmels. Als lernfreudige Schülerin ging ich nach der Volksschule ins Gymnasium in Wien/Floridsdorf. Und dort sandte mir das Geschick eine Geschichts- Professorin auf den Weg, wie wohl in meiner Generation, und viele Jahre danach, Schülern kaum irgendwo eine Lehrperson zu Teil wurde. Frau Prof. Eleonore Zimmermann - ich ehre ihren Namen - tat, was sie eigentlich hätte unterlassen sollen. Sie klärte uns auf. Unterrichtete gnadenlos. Berichtete vom Grauen der letzten Jahrzehnte, von Antisemitismus, Nationalsozialismus, Hitler, Konzentrationslagern, Worte wie Shoa, Holocaust, Auschwitz fielen. Sie führte uns sogar im Zeichensaal Schmalfilme vor, die bei der Befreiung Überlebender aus den KZ’s entstanden waren. Mitschülerinnen erbrachen. Nazi-Eltern tobten. Aber wiederum war es dieses mir wohlgesonnene Geschick, welches Frau Dr. Stella Klein-Löw Direktorin unseres Gymnasiums sein ließ. Selbst Jüdin, hatte sie mit ihrem Mann in England überlebt, und war danach in Österreich sozialdemokratische Abgeordnete im Parlament geworden. Sie gab den elterlichen Beschwerden nicht den geringsten Raum und ließ weiterhin zu, dass Frau Prof. Zimmermann ihre Schüler ungehindert mit den jüngsten und schrecklichsten Auswüchsen der Menschen-Geschichte konfrontierte. Ich betone es immer wieder - und mit großer Dankbarkeit - und auch heute hier: diese beiden Frauen haben mich in jungen Jahren zu der Antifaschistin gemacht, die ich mein Leben lang geblieben bin. Zu Hause jedoch machte ich, von diesem grauenvollen Rückblick erschüttert, meinen Eltern die Hölle heiß. Sie waren keine Verbrecher gewesen, aber eben auch Nazis. Mein Vater in den Anfängen sogar ein ziemlich überzeugter, während meine Mutter trotz inneren Widerstandes nichts abwehrte und Mitläuferin blieb. Jetzt überfiel ich sie beide mit meiner Empörung, meinem Unverständnis, meiner Verachtung, ich schrie ihnen dieses „Wie konntet ihr das nur zulassen?“ immer wieder entgegen. „Ihr müsst doch gewusst haben, wohin alle die jüdischen Menschen gebracht worden sind? und was mit ihnen geschehen ist? Dass man die vergast hat? Dass es diese Lager gegeben hat? warum habt ihr euch nicht dagegen aufgelehnt? Wie konntet ihr diesem grauslichen Hitler, diesem hässlichen Menschen, nur irgendetwas glauben?“ Und so weiter. Ich regte mich fürchterlich auf. Antwort erhielt ich keine, meine Eltern ließen die wilden Anwürfe ihrer Tochter schweigend und bedrückt über sich ergehen. Im Nachhinein danke ich auch das den beiden Frauen am Gymnasium: dass ich mich so früh und so heftig gegen meine Eltern auflehnen und ihnen deshalb später auch wieder gut sein konnte. Etwas jedoch blieb auch von dieser Konfrontation in mir haften. Wo doch meine an sich freundlichen und liebenswürdigen Eltern so in die Irre geführt werden konnten - nachdem ich das erfahren hatte, erhielt sich in mir ein nicht mehr auszulöschendes Wissen. Das Wissen um menschliche Verführbarkeit. Um die Macht der dem Menschen einzupflanzenden Vor-Urteile. Um die Gefährdung durch Opportunismus. Und vor allem um das Manipuliertwerden durch Angst. Wenn man ihnen Angst macht, erreicht man vom Großteil der Menschen fast alles. In einem meiner Lieder heißt es ja: „Schau dir all die verbrauchten Gesichter an Die sich selbst verloren haben vor der Zeit Und wie man sie gebrochen hat mit System Nur weil die Angst so sehr gefügig macht.“ Faschismus beruht auf Angst-mache. Zwar war ich dann später sehr früh, in jungen Jahren schon - und gegen reichlich Widerstand - damit befasst, die österreichische Verantwortung während des Nazi-Regimes und im Hinblick auf den Holocaust bei jeder Gelegenheit zu betonen. Etwas, das ja jahrelang - bis zu Vranitzkys Rede in Jerusalem - hierzulande weidlich unter den Tisch gekehrt wurde. Ich las, ich sang und sprach bei Gedenk-Veranstaltungen - in Mauthausen etwa - aber auch am Theater - ja - und ich erhielt eine Zeitlang an der Burg mit Menschenkot gefüllte Briefe an mich, des Inhalts: „Wie ich denn als Burgschauspielerin diesen Sau-Juden Heller heiraten konnte“. In dieser Weise von Hass ereilt zu werden erlebte ich auch Jahre später - und es kam aus einer ähnlichen Ecke, kam wohl aus der selben menschliche Hölle auf mich zu. Es gibt diesen Prozentsatz an Un-Menschen, der unausrottbar die Erde zu bevölkern scheint. Da schrieb man mir zahlreich anonyme Briefe - Shit-storms gab es damals noch nicht - des Inhalts: „Mir sei recht geschehen, dass meine Tochter gestorben sei - weil ich öffentlich gegen den ‚Jörgl‘ – also gegen Haider – sei!“ Was ich damals auch war! Und was mit meiner Lebens-Einstellung eng zu tun hatte, und bis heute zu tun hat. Ich wurde - vielleicht gerade auch wegen der Nazi-Vergangenheit meiner mir doch so lieben und letztlich so gütigen Eltern - eine glühende Befürworterin der „Gegenwartsbewältigung“. Ich sah und sehe dieses „Wehret den Anfängen“ sehr oft schon dort, wohin man mir nur ungern, und wenn, dann meist verwundert folgt, mit „na ja – so arg ist das doch nicht…“ - oder „bitte übertreib’ doch nicht so“… In meiner Zeit am Burgtheater: wenn da Kollegen so überaus selbstsicher genau wussten, was Paula Wessely damals nicht hätte tun dürfen - da kam ich sehr schnell mit sehr genauen Fragen zu ihrer eigenen Gegenwart auf sie zu. Wie und wo sie bereits opportunistisch, feige, karrieresüchtig, oder ängstlich aufs eigene Fortkommen bedacht, Un-Gutes bedient hätten. Noch nicht so gefährlich und gefährdend alles - jedoch am besten Wege, keine entschiedene Haltung gegen Ansätze von faschistiodem Gedankengut, gegen im Spießertum versteckten Rechtsradikalismus aufzubringen, sondern brav im Trüben mitzuschwimmen. Wenn Menschen meines Umfeldes „langsam von diesem Holocaust nicht mehr hören können“ - - „nix gegen Juden haben, aber jetzt reicht‘s“ - - - ja, das wird auch immer wieder von - wie man meint - intellektuell gut ausgerüsteten Leuten und nicht nur von Schwachköpfen ganz rasch und oft gesagt - - - Wenn also solches ertönt, darf man nicht schweigen. Aber auch, wenn mein afrikanischer Adoptiv-Sohn als junger Bub vor der Disco seiner Hautfarbe wegen des Drogenhandels bezichtigt und nicht mit seinen ‚weißen‘ Freunden hereingelassen wurde - wenn in der türkisfarbenen Jetzt-Zeit das Thema Flüchtlinge und Asyl immer noch so gehandhabt wird, dass man vergeblich nach Menschenwürde und Menschlichkeit Ausschau hält - dann darf man auch dabei nicht schweigen! Meine Schwiegertochter ist Jüdin. Das Enkelkind ist also jüdisch. Ich sehe von meinem Fenster aus die beiden im Garten spielen, einander kosen. Es ist nicht vorstellbar, dass irgendwann so schöne, so bezaubernde, so kluge, so lebendige Menschen von anderen Menschen, die neben ihnen lebten, ausgegrenzt und dem Verderben ausgeliefert wurden. Dass da kein Aufschrei ertönte! Es ist mir in einer Weise unvorstellbar, dass ich dem Mensch-Sein nicht mehr trauen kann. Das heißt besser gesagt: ich traue dem Menschen alles zu. Was mir leider das vergangene Jahr wieder bestätigt hat – diese Zeit der Pandemie, die über uns kam. Wie rasch kann in Köpfen, in Seelen von Menschen ein unheilvolles Spektrum von Torheit bis hin zum Bestialischen entstehen! Wohin kann Angst, Unsicherheit, ungewohnte Anforderung auch relativ gebildete Menschen im Nu bringen! Selbst bleibe ich ja dem Face-Book, der Posterei und Twitterei mit Überzeugung fern, ich gehe immer noch ohne Smartphone durchs Leben - erfahre jedoch zur Genüge alles an Greuel, an unfassbar Bösem - das ich nur nicht unaufhörlich meinem Menschen-Dasein so dicht nahebringen möchte. Weil es mich entsetzt. Mir Boden unter den Füßen entzieht. Diese Wahrnehmung, mit welcher Eile Vernunft und Mitmenschlichkeit ausgeschaltet werden kann. Die anfängliche Hoffnung, diese weltweite Corona-Katastrophe könnte zu einer Belehrung der Spezies Mensch führen - ihr vor Augen bringen, wohin der rein kapitalistische, umwelt-feindliche Weg sie führt - was es auf Dauer bedeutet, die Erde und einen Großteil ihrer Bewohner für das exzessives Wohlergehen unserer westlichen Elitegesellschaft auszubeuten! - Ja, anfangs dachte ich an eine erneuerte, ich möchte fast sagen: vergeistigte Globalisierung, an eine dem Menschen angebotene Möglichkeit, sich welt-weit neu zu orientieren und zu einigen… Und was entstand in Windeseile? Hass! Unvernunft! Verschwörungstheorien wucherten hoch. Woran Leute glauben können, bringt mich auch bei religiösen Fanatismen, bei jeder Form von Fundamentalismus immer wieder aus der Fassung. Nun wird solches aber in unseren Tagen zusätzlich von der uns beherrschenden digitalen Macht gefördert, die jeglichen Schwachsinn weltweit auszubreiten in der Lage ist. Und wer natürlich sofort auf diese Tendenzen aufsprang, war der Rechtsradikalismus. Und in seiner Folge der Antisemitismus. Sofort waren sie zur Stelle, die ewigen Nazis, die Holocaust-Leugner. Eine jüdische Weltverschwörung gehörte ganz rasch in das Repertoire der Schauergeschichten, die dazu dienen sollen, angst-besetzten Menschen die einfache Tatsache einer Pandemie auszureden. Nun hat sich danach auch noch der Konflikt Israel/Gaza hinzugesellt, wir wurden und werden vom Geschehen dort medial gefüttert - und es ist so weit gekommen, dass man jüdischen Menschen raten muss, lieber nicht als Juden erkenntlich auf die Straße und zwischen Menschen zu gehen!!!!! An dieser Stelle habe ich mein Manuskript mit einigen Rufzeichen versehen. Und ich würde diese Gedenk-Veranstaltung heute hier gern zu einem einzigen großen Rufzeichen umwandeln. Zu einem Ruf, der ein Zeichen setzt. Nicht Gewalt - nicht Demos mit Gebrüll und Ausschreitungen - nicht blanker Hass, der stets Gleichgesinnte sucht und findet. Nein - ich bleibe dabei, dass jeder vernunftbegabte und anständige Mensch nicht aufhören sollte, sich selbst als Ruf, als Zeichen einzubringen. Furchtlos. Ja - gerade, weil die Angst so sehr gefügig macht - und wir, heute hier versammelt, uns doch nicht fügen wollen, wenn wieder Tendenzen erwachen, die Menschenwürde und Menschlichkeit gefährden. Ich appelliere stets an jeden einzelnen, wenn es um das Gedenken und um Mahnung geht. Ermahnen wir uns selbst - Tag für Tag - ein Leben lang. Erika Pluhar, Juni 2021
Ein Erika Pluhar zum 20. Todestag von Udo Proksch für die Tageszeitung KURIER abverlangter Kommentar, der - auch der Länge wegen – dann nicht zu passen schien. Hier soll er dennoch erscheinen. UDO Vor 21 Jahren starb unsere gemeinsame Tochter ANNA – und Udo – bislang ein Gefängnisinsasse mit erstaunlicher Haltung – ihr bald hinterher. Es brach ihm das Herz. Dieses angebliche ‚wilde Leben eines Herrn Udo‘ habe ich nie mit ihm geteilt. Unsere Ehe war kein Kinderspiel, aber ich kannte einen liebevollen und kreativen Mann an meiner Seite. Er war mehr Künstler als so manche, die das von sich behaupten. Und er half mehr Menschen aus Notsituationen oder auf die Sprünge, als er je kundtat. Ich sagte oft zu ihm: „Warum redest du sofort Blödsinn, wenn eine Kamera auf dir ruht?“ Sein spielerisch-clownesker Umgang mit den Medien und mit den Mächtigen – und zeitweise der Alkohol – das waren seine Gefährdungen. Unsere letzten Gespräche in der Haftanstalt Karlau waren die mit einem geläuterten, kritisch auf sich selbst zurückblickenden, halt einfach wirklich klugen Menschen. Was immer er sich zu Schulden kommen ließ - er hat weidlich dafür bezahlt. Schade, dass sein 20. Todestag ihn wieder zu einem medialen Hype werden lässt – ich hatte gehofft, dass wir, die wir ihn trotz allem liebten, davon jetzt endlich Ruhe hätten. Erika Pluhar, Juni 2021
© 2014 -2024 ERIKA PLUHAR - COPYRIGHT ALLER FOTOS UND TEXTE ERIKA PLUHAR
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